Herr Prof. Kötter, die Kommunen stoßen aktuell bei der Entwicklung neuer Gewerbeflächen an immer engere Grenzen, und das in weiten Teilen der Bundesrepublik. Wie beurteilen Sie die Lage aus wissenschaftlicher Sicht?
Meine These: Der Bedarf an Gewerbeflächen wird in den nächsten Jahren stark zunehmen, da die Politik versuchen wird, die Unabhängigkeit unserer Wirtschaft zu stärken und die Vulnerabilität gegenüber internationalen Lieferketten zu mindern.
Auch der Fachkräftemangel und der Klimaschutz werden sich auf die Bedarfslage auswirken. Auf der anderen Seite gibt es in der Bevölkerung zunehmend Skepsis gegenüber neuen Gewerbeflächen. Hinzu kommen Themen wie die Digitalisierung, mobiles Arbeiten, Homeoffice, Industrie 4.0. und Urbane Produktion.
In der Folge werden sich die Sektoren Arbeiten und Wohnen mehr vermischen, das ist ein großer Vorteil, denken Sie allein an die wegfallenden Pendlerfahrten. Im Sinne einer funktionsgemischten Stadt und einer urbanen Produktion steigen die qualitativen und quantitativen Herausforderungen, aber natürlich auch die Chancen.
Welche Möglichkeiten sehen Sie für Kommunen, zusätzliche Gewerbeflächen bereitzustellen?
Lassen Sie mich das am Beispiel der Metropolregion Ruhrgebiet ausführen. Die Metropole Ruhr ist ein außergewöhnlicher Agglomerationsraum mit Wettbewerb zwischen den Städten und erheblichen Flächenpotenzialen. Anzahl und Umfang dieser Flächen könnten allerdings viel größer ausfallen, wenn die Städte stärker kooperieren und sich eine kontinuierliche interkommunale Zusammenarbeit etablieren würde, gewissermaßen stadtgrenzenübergreifend.
Entwickeln und betreiben die Kommunen Gewerbeflächen gemeinsam, teilen sie sich zwar die Steuereinnahmen, aber auch die Risiken und die Kosten. Durch solche interkommunalen Ansätze lassen sich größere Flächen initiieren und damit eine größere internationale Sichtbarkeit erreichen. Die zahlreichen leicht zu entwickelnden Gebiete in der Region sind mittlerweile schon überwiegend entwickelt. Deshalb müssen zunehmend die Bestandsflächen sowie auch interkommunale Gewerbeflächen aus meiner Sicht in den Fokus rücken.
Es gibt bereits viele interkommunale Ansätze, die sicher noch ausbaufähig sind. Was können diejenigen Kommunen tun, die ein weiteres Eisen im Feuer haben wollen?
Da gibt es natürlich noch diese Möglichkeit: Standorte, die aufgrund der Eigentumsverhältnisse sehr kleinteilig und durch Interessenskonflikte eingeschränkt erscheinen. Hier kann eine Stadt durch aktives Flächenmanagement, Flächenankauf und durch Flächentausch neue Gewerbeflächenpotenziale heben und an den Markt bringen.
Institut für Geodäsie und Geoinformation der Universität BonnWie ist das genau gemeint, Flächentausch?
Manche potenziellen Flächen sind oft nicht mobilisierbar, da sie zersplittert oder durch unterschiedliche Interessenlagen der Eigentümer und sonstige Konflikte geprägt sind. In solchen Fällen kann es sich für Kommunen lohnen, das gesamte Instrumentarium des Städtebaurechts zu nutzen. Es wäre hilfreich, positive Beispiele für die Anwendung solcher Instrumente und Verfahren bekannter zu machen.
Kommunen können Flächen kaufen und natürlich auch hoheitlich tauschen, z.B. im Rahmen einer Baulandumlegung nach § 45 ff. BauGB. Es handelt sich um ein gesetzlich geregeltes Grundstückstauschverfahren zur Schaffung von Bauland, das den Vorteil bietet, dass auch bei fehlender Mitwirkungsbereitschaft Einzelner eine optimale Flächennutzung realisiert werden kann.
Daher braucht eine Kommune dafür nicht in jedem Fall das Einverständnis aller Eigentümer. Die Wirtschaftlichkeit, vor allem die Privatnützigkeit, muss natürlich in beide Richtungen gewahrt bleiben, und das Eigentum bleibt auch grundsätzlich erhalten. Grundsätzlich hat jeder Eigentümer in dem Tauschverfahren Anspruch auf ein mindestens wertgleiches Grundstück.
In welchem Instrument sehen Sie die erste Priorität?
Eine Arrondierung, Zusammenlegung und Neuordnung zahlreicher kleinerer, teilweise nicht mehr genutzter Grundstücke kann das Angebot an marktgerechten größeren Grundstücken erhöhen. Solche großen Flächen sind oft marktgängiger. Die Stadtentwicklung sollte daher eine derartige Transformation von Bestandsgebieten durch Flächenmanagement als wichtige Zukunftsaufgabe forcieren.
Welche Instrumente kommen noch infrage? Es gilt, bestehende Gewerbegebiete zu erneuern, im Hinblick auf die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen. Etwa Flächen mit leerstehenden Industriegebäuden, mit alten Schienen, die heute kaum genutzt werden. Auch manche kleinteiligen Brachen, manches kleinteiliges Eigentum.
Diese Flächen sind aktuell aufgrund ihrer Restriktionen noch oft wirtschaftlich unattraktiv, denn da fehlt es an Infrastruktur, die müssen zudem an den Klimawandel angepasst werden, weiterentwickelt und optimiert werden. Vielleicht ist ein gemeinsames Dienstleistungszentrum, also ein installiertes Gewerbeflächenmanagement, auf das Betriebe zurückgreifen können, in vielen Fällen ein probates Mittel. Brachliegende Immobilienpotenziale zu heben kann ein weiterer Baustein sein.
Inwiefern kann das helfen, zersplitterte Bestandsgebiete zu entwickeln?
Das sind viele Ideen. Welche Instrumente sollten die Kommunen aktuell ergreifen?
Kommunen sollten sich in erster Linie auf den Bestand konzentrieren und nicht nur versuchen, neue Gebiete zu entwickeln. Für diese komplexen Aufgaben stehen vielfältige Instrumente des Städtebaurechts zur Verfügung. Die Herausforderungen der Erneuerung, des Umbaus und der Transformation lassen sich je nach Einzelfall sowohl mit den Instrumenten der Planung, Bodenordnung und Erschließung in Verbindung mit städtebaulichen Verträgen des allgemeinen Städtebaurechts als auch mit städtebaulichen Gesamtmaßnahmen nach dem besonderen Städtebaurecht bewältigen.
Das Leitbild der nachhaltigen Stadtentwicklung zwingt die Akteure, mit den Flächen haushälterisch umzugehen. Die Metropole Ruhr umfasst ein großes Gebiet, da wird man im Bestand sicherlich weiter fündig werden, um geeignete Standorte aufzuwerten.
Im Hinblick auf eine funktionsgemischte Struktur ist es unverzichtbar, dabei die Themen Wohnen, Umwelt und Freiraum mitzudenken, damit die Region weiter attraktiv bleibt für Arbeitskräfte und Unternehmen.
In welchem Instrument sehen Sie die erste Priorität?
Der Blick muss zunächst auf den Bestand fallen. Konversionsflächen und bestehenden Gebiete aus den vergangenen Jahrzehnten sollten modernisiert werden, erneuert und aktuell gestaltet werden, im Hinblick auf Themen wie Klimawandel, energetische Sanierung, Funktionalität. Ein Beispiel: Phoenix West und Ost in Dortmund, das bei aller berechtigter Kritik doch in Summe gut gelungen ist. Das ist ein Gewinn für die ganze Stadt. Heute würde man vielleicht anders vorgehen, aber um solche Erkenntnisse zu gewinnen, muss man natürlich auch irgendwann mal etwas Neues wagen. Ohne den Mut der Stadt hätte es nie so ein Ergebnis gegeben.
Es ist nun mal eine öffentliche Aufgabe, den Strukturwandel und die Gewerbeflächenentwicklung voranzutreiben und das Gemeinwohlinteresse dabei zu berücksichtigen. Stadt und Region müssen eine aktive Rolle übernehmen, die ganze Region muss handlungsfähig werden. Das sind alles keine brandneuen Erkenntnisse, und ein koordiniertes Handeln wird immer wichtiger, weil die Handlungsspielräume enger werden.
Viele Wohngebiete werden aktuell nachverdichtet, welche Rolle kann das für Gewerbegebiete spielen?
Das ist für mich das Thema, Gebiete im Bestand zu optimieren. Betrifft etwa Gewerbegebiete, die in den 50er- und 60er-Jahren entwickelt wurden. Wenn man diese mal systematisch unter die Lupe nimmt, wird man viele Potenziale entdecken.
Man könnte etwa daran denken, Gebäude mit Nutzungsmöglichkeiten für Büros, Präsentationsflächen und Gemeinschaftsräume für viele Betriebe gesammelt anzubieten. Diese könnten Fixkosten senken, indem sie auf viele Schultern verteilt werden. Hier wäre es auch möglich, diese Nutzungsmöglichkeiten flexibel auszuweiten – attraktiv für Unternehmen, die stark wachsen.
Aber das ist natürlich aufwändig und kein Selbstläufer, weil die Betriebe werden das nicht von sich aus machen. Man könnte auch aktiv nach Flächen suchen, die zwar im Besitz von Betrieben sind, aber nicht mehr gebraucht werden. Städte sollten sich anbieten, diese Flächen zu erwerben.
Das sind wichtige Fragen. Es ist aber nicht primär Aufgabe der Politik, Geld zu verdienen. Es ist Aufgabe der Politik, an der Zukunft der wirtschaftlichen Basis der Stadt und der Region zu arbeiten. Es geht um zukunftsfähige Arbeitsplätze und qualitatives Wachstum. Die Konversion, Transformation oder die Erneuerung bestehender Gewerbegebiete ist häufig mit unrentierlichen Kosten der Grundstücksaufbereitung verbunden.
Eine Flächenentwicklung ist daher meistens ohne öffentliche Förderung nicht möglich. Insgesamt geht es nicht um finanzielle Rendite, sondern um Stadtrendite. Die Entwicklung moderner Gewerbegebiete gehört zur Daseinsvorsorge und ist eine Investition in die langfristige Zukunft der Region! Die Rendite aus der reinen Flächenentwicklung sollte deshalb nicht im Vordergrund stehen.
Welche Rolle spielt dabei die angespannte Haushaltslage der Kommunen? Was kostet das und wer bezahlt das?
Was verstehen Sie unter der „Bodenvorratspolitik“?
Die Handlungsfähigkeit im Gewerbe ist den Städten und Regionen nur dann gegeben, wenn diese Zugriff auf die Flächen haben. Aber wenn ein Eigentümer im Fall der Fälle nicht verkaufen will, dann ist kaum erfolgreiche Wirtschaftsförderung möglich. Wo Kommunen Flächen entwickeln, ist es unverzichtbar, dass diese auch die Eigentümer sind. Aber wie kommen sie nun an die Flächen? Mit der Zeit: Es gibt immer mal wieder Eigentümer, die verkaufen wollen. Das sollten Städte nutzen. Und sich mit Bodenvorrat versorgen. Ganz unabhängig davon, ob es schon Planungsvorhaben gibt. Die Flächen kann man ja zunächst auch mal zwischennutzen, und etwa verpachten, um Erträge zu erzielen. Auch kann es sinnvoll sein, für Tauschflächen oder für ökologische Ausgleichsflächen Gebiete vorzuhalten.
Institut für Geodäsie und Geoinformation der Universität BonnIhr Kontakt für Flächenthemen im Ruhrgebiet
Strukturpolitik & Investorenservice