Eine internationale Mobilitäts-Messe mit Schwerpunkt Seilbahnen im Ruhrgebiet überrascht viele. Warum findet die Cable Car World zum zweiten Mal in Essen statt?
Dominik Berndt: Das Thema Seilbahnen ist im Ruhrgebiet im Grunde sogar ein traditionelles, da früher Zechenseilbahnen zum Gütertransport ein häufig anzutreffendes Verkehrsmittel waren. Entsprechende Industriebetriebe gab es hier ebenso und gibt es teilweise bis heute. Aber natürlich wird das Thema heute überwiegend mit dem Alpenraum verbunden, wo mittlerweile der Großteil der Seilbahn-Industrie beheimatet ist. Gleichwohl geht es uns nicht um eine Produktschau für die Seilbahn-Industrie, sondern vielmehr um die Anwendungsfälle im urbanen Raum für den ÖPNV. Da ist das Ruhrgebiet prädestiniert für den Einsatz und Projektideen wie in Duisburg oder Herne zeigen auch, dass die Chancen erkannt werden. Dass urbane Mobilität im drittgrößten Ballungsraum Europas seit jeher ein Thema ist, sollte nicht überraschen. Wir finden, dass das Ruhrgebiet ein guter Ort ist, um innovative Konzepte zu zeigen und neue Möglichkeiten zu nutzen. Das passt auch zur Mentalität der Leute hier: einfach mal anpacken!
Warum sind Seilbahnen eine Option für das Flachland Ruhrgebiet?
Dominik Berndt: Seilbahnen können Hindernisse am Boden sehr leicht überwinden, dafür braucht es keine Berge. Sie haben den Vorteil, dass sie einen exklusiven Raum über der Straßenebene nutzen. Damit können sie konkurrenzlos agieren und gewährleisten eine hohe Zuverlässigkeit. Sie brauchen keinen Fahrplan, da sie meistens nach dem Pater-Noster-Prinzip, also umlaufend verkehren. Eine Seilbahn ist sehr leise und benötigt nur einen elektronischen Antrieb in der Station. Zudem emittiert sie keine Luftschadstoffe am Betriebsort. Außerdem kann man sehr schnell bauen, in der Regel in ein bis zwei Jahren. Man kann Seilbahnen auch temporär nutzen, und bei Bedarf wieder zurückbauen. Das wäre bei Straßen- oder U-Bahnen so nicht möglich. Die nachträgliche Integration in gebauten Stadtlandschaften ist zudem ein wichtiger Faktor.
Was sind die großen Zweifel an dem System?
Dominik Berndt: Eine Seilbahn ist kein Allheilmittel. Oftmals wird sie aber als solches dargestellt, worin ein Missverständnis besteht, was schnell auch Zweifel wachsen lässt. Seilbahnen sind für bestimmte Einsatzfälle ideal, aber eben nicht immer und überall. Es können heute zwar schon bis zu 8000 Passagiere pro Stunde und Richtung mit einer Umlaufseilbahn transportiert werden, was schon sehr viel ist. Eine U-Bahn aber hat im Vergleich eine nochmals deutlich höhere Kapazität und höhere Geschwindigkeit – ist aber auch etwa zehn Mal teurer im Bau. Jedes System hat seine spezifischen Eigenschaften und Berechtigungen.
Bei Seilbahnen wird zudem oftmals das Überfliegen von Grundstücken kritisiert. Hierbei wird gerne das Bild bemüht, dass man aus der Seilbahn auf die entblößt am Pool liegenden Anrainer schauen könnte. Mal abgesehen davon, dass dieses Problem wohl vor allem auf Poolbesitzer zutreffen würde, die vermutlich nicht die Mehrheit repräsentieren, werden urbane Seilbahn-Projekte in Deutschland wie in Duisburg oder Herne heute ohnehin ohne den Überflug privater Grundstücke geplant. Das schränkt die Trassenfindung im Einzelfall zwar ein, erspart aber auch mühselige Verhandlungen um Überflugrechte.
Genau, in der Metropole Ruhr sind Seilbahnen in verschiedenen Städten in der Diskussion, konkret in Herne und Duisburg.
Dominik Berndt: Um es in den Kontext einzuordnen: Seilbahnen als Teil des ÖPNV sind bei uns in den letzten vier bis fünf Jahren zum Thema geworden. In Dortmund bei Smart Rhino, in Bochum bei der Anbindung von Mark 51°7 oder in Essen zur Anbindung des Bahnhofs Altenessen an das Weltkulturerbe Zollverein. Mittlerweile wurden viele rechtliche Rahmenbedingungen angepasst und umfangreiche Fördermöglichkeiten geschaffen. Aktuell gehen Herne und Duisburg das Thema sehr ernsthaft an.
Wie sehen diese beiden Projekte aus?
Dominik Berndt: In beiden Fällen sind große Stadtentwicklungsprojekte der Anlass über die passende Erschließung nachzudenken. In Herne geht es um die direkte Anbindung des Blumenthal-Areals, auf dem ein Technologie-Quartier entstehen soll, mit dem Hauptbahnhof Wanne-Eickel. Dazwischen liegt eine der größten Gleisharfen Deutschlands, die überwunden werden muss. Neben einer weiträumigen Umfahrung kommt noch eine Untertunnelung oder eben der Überflug in Betracht. Letzteres ist jedoch die wirtschaftlichste und wohl auch attraktivste Lösung.
In Duisburg geht es darum, den Hauptbahnhof mit den neuen großen Stadtentwicklungsprojekten zu verbinden und diese zu erschließen. Sie liegen wie auf einer Perlenkette in südliche Richtung: die Duisburger Dünen, ein neuer Unicampus, das Stadion und 6-Seen-Wedau. Man möchte hier ÖPNV anbieten können, bevor die ersten Nutzer da sind, damit sich die Mobilitätsroutinen direkt mit dem ÖPNV entwickeln. Da die öffentliche Erschließung bisher nicht in der notwendigen Form gegeben ist und nachträgliche umfangreiche Maßnahmen am Boden aufgrund der dichten Nutzungsstruktur sehr schwierig wären, bietet sich eine Seilbahn-Lösung geradezu an. Bei beiden Projekten schneiden Seilbahnen im Vergleich zu anderen vergleichbaren Verkehrssystemen positiv ab. In beiden Fällen muss aufgrund fehlender Strukturen neue ÖPNV-Infrastruktur geschaffen werden, die möglichst schnell und kostengünstig verfügbar sein sollte. Brücken- und Tunnelbauwerke können da eher nicht die Lösung sein.
Welche unterschiedlichen Typen und Systeme gibt es?
Dominik Berndt: Einfach gesagt gibt es bei Seilbahnen zwei Funktionsprinzipien: das Umlaufprinzip (auch Pater-Noster-Prinzinip) einerseits, bei dem die Kabinen im Sekundentakt wie an einer Perlenkette ankommen. Beim Pendelprinzip andererseits pendeln eine oder zwei Kabinen von A nach B und wieder zurück. Das Umlaufsystem ist für einen stetigen Zustrom an Fahrgästen ausgelegt, dass Pendelsystem eher für ein punktuelles Aufkommen.
Was ist mit Zwischenstationen?
Dominik Berndt: Zwischenstationen sind möglich und im urbanen Kontext auch oftmals notwendig, um Haltepunkte entlang der Strecke zu realisieren. In den Zwischenstationen werden die Kabinen vom Seil getrennt, um in Ruhe ein- bzw. aussteigen zu können, und klinken sich anschließend wieder rein. Als Fahrgast bemerkt man diesen vollautomatischen Vorgang aber nicht.
Die internationale Mobilitätsmesse Cable Car World findet am 4. und 5. Juni 2024 in Essen statt.
Was kostet das System?
Dominik Berndt: Das ist von vielen Faktoren abhängig, also sehr individuell und nicht pauschal zu beantworten. Die Kosten hängen beispielsweise nicht in erster Linie von der Streckenlänge ab, sondern von der Anzahl der Stationen. Da hierfür der Infrastrukturaufwand höher ist, beeinflusst die Zahl der Stationen den Systempreis am meisten. Erfahrungsgemäß liegen die Kosten bei rund einem Zehntel verglichen mit einer U-Bahn und sind vergleichbar mit denen einer Straßenbahn. Dies kann aber im Einzelfall auch abweichen. Am Ende sind weniger die Gesamtkosten als vielmehr der Kosten-Nutzen-Faktor ausschlaggebend. Liegt der über 1, erzeugt das System - das gilt für alle Systeme - mehr Nutzen als Kosten. Danach richtet sich auch die Entscheidung für oder gegen ein System.
Und wie sind die Fördermöglichkeiten?
Dominik Berndt: Sofern der Nutzen die Kosten übersteigt (über 1), kann eine Bundesförderung beantragt werden. Die Förderung des Bundes beträgt bis zu 75 Prozent der förderfähigen Investitionskosten. In NRW kann diese Förderquote auf 95 Prozent aufgestockt werden, was beispielgebend in Deutschland ist. Die Förderung gilt jedoch nicht für den Betrieb, hier gelten dieselben Regeln wie für andere ÖPNV-Verkehrsmittel.
Seilbahnen sind weltweit ein Thema. Was sind die aktuellen Beispiele für urbane Seilbahnen?
Dominik Berndt: Urbane Seilbahnen kommen in großer Zahl in Lateinamerika vor, ebenso gibt es Anlagen in Nordafrika oder Asien. Diese Länder sind aber weit entfernt, auch wenn die Systeme da gut funktionieren und man viel über den Betrieb lernen kann. Der Blick nach Frankreich ist aus europäischer Sicht vielleicht interessanter. Frankreich setzt seit einigen Jahren vermehrt auf Seilbahnen als Ergänzung zu den bestehenden ÖPNV-Verkehrsmitteln. In Toulouse gibt es seit 2022 die größte Umlaufbahn in einer europäischen Stadt. Sie schließt den südlichen ÖPNV-Stadtring, der bislang durch einen Fluss und Hügel nicht geschlossen war. Große Verkehrserzeuger, die teilweise auf dem Hügel liegen wie ein Krankenhaus und eine Hochschule, sind jetzt an das städtische ÖPNV-Netz mit einem Hochleistungs-Verkehrsmittel angeschlossen. Nach zwei Jahren Betrieb ist die Bilanz positiv, es gibt viel mehr Fahrgäste als die Studien vorhergesagt haben und der Betrieb läuft reibungslos.
In Brest gibt es hingegen ein Pendelsystem, das wäre vergleichbar mit den Ideen in Herne. In Paris wird gerade die erste Seilbahn gebaut, die vom System und der Streckenführung her vergleichbar mit Duisburg wäre. Die Seilbahn ist Teil eines umfangreichen Ausbaus des ÖPNV im Rahmen des Stadtentwicklungskonzeptes der 15-Minuten-Stadt. Sollte sich die Seilbahn mit Namen C1 in Paris bewähren, könnte ich mir vorstellen, dass weitere Linien folgen werden.
Diese und andere Anwendungsbeispiele kann man auf der Cable Car World kennenlernen. Was ist diesmal geplant und was sind die weiteren Pläne für die Messe?
Dominik Berndt: Richtig, vom 4. bis zum 5. Juni 2024 findet die Cable Car World wieder in der Messe Essen statt und es steht alles unter dem Motto, die neuen Möglichkeiten der öffentlichen Mobilität auf der Plus-Eins-Ebene zu entdecken. In Zukunft wollen wir noch internationaler werden und mit Partnerländern kooperieren. Urbane Seilbahnen sind universell anwendbar und im Grunde für jede Stadt weltweit eine Option.
Cable Car World
Wie bei der Premiere 2022 ergänzen sich internationaler Fachkongress und Messe. Der Schirmherr der Mobilitätsmesse ist in diesem Jahr Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing, was die Bedeutung des Themas auch in Deutschland dokumentiert. Im Kongress werden über 35 Speakerinnen aus 13 Ländern erwartet. In der Messe präsentieren sich über 30 internationale Aussteller, hinzu kommen Sonderflächen wie ein über 20 Meter langes Seilbahnmodell, Stadtmodelle mit Seilbahnen - z. B. aus Duisburg - oder das Mobility Lab mit vielfältigen Workshop-Angeboten.