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„Wir müssen die Stadt wieder von den Menschen her denken

Die Städte der Metropole Ruhr vereinen Architektur aus ganz unterschiedlichen Epochen. Mit Folgen für Stadtentwicklung, Neubau und vor allem Bauen im Bestand. Die Immobilienexpertin und Journalistin Dr. Gudrun Escher plädiert für mehr Wertschätzung für das Bestehende, um nachhaltige und lebenswerte Quartiere zu entwickeln.

Der Bestand rückt zunehmend in den Fokus der Immobilienbranche. Wie verändert sich dadurch die Sichtweise auf die Städtebauliche Denkmalpflege? 

Der Zusammenhang über das einzelne Gebäude hinaus wird stärker in den Blick genommen. In der Gesetzgebung oder auch bei den Landschaftsverbänden LWR und LVR, die Abteilungen für die städtebauliche Denkmalpflege aufgebaut haben. Das ist gut. Es geht um Aufmerksamkeit und die Vermittlung von Kenntnissen. Dabei steht nicht die Objektbetrachtung im kaufmännischen Sinne im Vordergrund, sondern eine veränderte Perspektive, es gilt die Stadt von den Menschen und den Nutzungsmöglichkeiten her zu entwickeln und dabei die sozialen und emotionalen Verhältnisse einzubeziehen. 

Sie engagieren sich mit der Fachgruppe Städtebauliche Denkmalpflege, an der wichtige Lehrstühle der Raum- und Stadtplanung beteiligt sind. Was ist der Beitrag dieser Gruppe? 

Die interdisziplinär aufgestellte Fachgruppe beschäftigt sich mit dem „Gedächtnis“ der Stadt, dem Stellenwert der historischen Bausubstanz für die Identität der Stadt und die Stadtentwicklung von morgen. Schon 2016 haben wir zum Beispiel bei einer unserer regelmäßigen Jahrestagungen öffentliche Räume in der Stadt beleuchtet, ein Thema, das erst in jüngster Zeit breiter diskutiert wird. 2018 beschäftigten uns die „Riesen“ in der Stadt, die Großbauten aus der Nachkriegsmoderne. Zuletzt 2023 ging es um „Identität und Gemeinwohl“. Dabei haben wir den Baubestand als Ressource für Kultur und Bildung in den Fokus genommen.

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Im Lauf der Zeit rücken nun Bauepochen und Objekte in das Blickfeld der Denkmalpflege, die viele dort erstmal nicht vermuten. 

Ich wohne in Xanten, einer alten Stadt, die auf römische Wurzeln zurückgeht. Neben der römischen liegt die christlich-mittelalterliche Stadtstruktur umringt von einer Stadtmauer. Da kann man leicht verstehen, dass alles innerhalb der Wallanlagen besonders aufmerksam beobachtet wird.

Das ist in Ruhr-Städten ein bisschen schwieriger, die nach den massiven Kriegszerstörungen wesentlich von den Boomjahren der Nachkriegszeit geprägt worden sind. Große Verwaltungskomplexe, Einkaufsstraßen, Wohnsiedlungen und ältere Bausubstanz stehen nebeneinander. Da ist es nicht für jeden ersichtlich, um was für architektonische Leistungen es sich mancherorts handelt. Dafür die Augen zu öffnen, wie bei entsprechender Bauqualität Altes und Neues sich ergänzen kann, den Bestand als Ressource für die Transformation bewusst zu machen, ist unser Anliegen mit der Fachgruppe Städtebauliche Denkmalpflege. 

Worauf gilt es zu achten? 

Städte haben immer ein bestimmtes, historisch geprägtes Strickmuster, nach dem sie angelegt sind. Früher waren die Menschen auch nicht dumm und planten nach den Vorgaben und Ideen ihrer Zeit. Die gilt es zu verstehen und für die Zukunft weiter zu entwickeln. Die neuerdings viel beschworene „Urbanität“ entsteht nicht durch Zubauen der Freiräume mit immer neuen Büropalästen oder Wohnblocks, sondern setzt die Vielfalt voraus, die vieles nebeneinander ermöglicht.  Früher war mal die autogerechte Stadt das planerische Ziel. Davon müssen wir uns heute verabschieden und auf eine Stadt der kurzen Wege hinarbeiten. Auch dabei darf die Ästhetik nicht aus dem Blick geraten.

Über die Nachkriegsarchitektur wird heute oft die Nase gerümpft: Mangelt es da schlicht an Ästhetik in der Bausubstanz oder mangelt es am Wissen darüber? 

Also: Das ist eindeutig eine Frage des Wissens, es fehlt die bewusste Wahrnehmung. Das liegt oft auch daran, dass solche Bauten und ihr Umfeld nicht kontinuierlich gepflegt und instand gehalten werden. Kosten der Bauunterhaltung werden gern vor sich her geschoben bis nichts mehr geht. Dann entsteht da eine hässliche Umgebung mit sichtbaren Bauschäden und Dreck. Was letztlich dahintersteckt ist mangelnde Wertschätzung für den gebauten Bestand und das ist ein umso größeres Problem, als wir für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele auf die im Bestand gebundene „graue Energie“ nicht verzichten können.

Was ist zuerst da: Die Qualität des Gebäudes oder Aufenthaltsqualität des Platzes? 

Im besten Fall hängt beides zusammen. In den letzten zehn Jahren ist die Aufmerksamkeit für Öffentlichkeit, Fußgänger und ÖPNV gestiegen. Deshalb schauen auch Stadtplaner und Architekten jetzt verstärkt auf die Umgebung jenseits des einzelnen Gebäudes.

Plätze sagen extrem viel über Städte aus. Wie geschützt oder einladend Orte sind. Eine Stadt muss zugänglich sein und öffentlichen Raum für vielfältige Nutzungen bieten in einem fließenden Übergang von drinnen und draußen.

Ein gutes Beispiel ist das Haus des Wissens, das in Bochums Innenstadt derzeit gebaut wird und schon mehrfach preisgekrönt ist. Menschen können dort zusammenkommen und das Raumangebot vielfältig nutzen. Das Haus des Wissens vereint Nutzungen, die sich ergänzen und sich nicht gegenseitig ausschließen.

Was kann man daraus auf andere Projekte übertragen?

Nicht vom Objekt her denken, sondern von den Menschen. Dann bieten sich viel mehr Potenziale als man ursprünglich gedacht hat. 

Dafür ein anderes Beispiel: alte Schulgebäude. Wie viele Keller sind vollgestopft mit altem Lehrmaterial und Möbeln und stehen deshalb nicht mehr für Neues zur Verfügung. Sich die Mühe zu machen solche Räume wieder zu entdecken, erweitert die Nutzbarkeit des Bestandsgebäudes in großem Maße. Das gilt ebenso für Verwaltungen. 

„Klimasensibel weiterbauen“ 

Historische Städte und Quartiere an den Klimawandel anpassen 

Jahrestagung der Fachgruppe Städtebauliche Denkmalpflege 

21.11.2024 9:00 bis 17:00 Uhr 

Veranstaltungsort: Campus der EBZ Bochum 

Woran scheitert das oft? 

Was sich kaum jemand klar macht: Die geltenden Bauvorschriften orientieren sich am Neubau. Es muss daneben eine Umbauordnung geben, die von den Maximalforderungen, wie sie für den Neubau gelten, abrücken. Es ist idiotisch anzunehmen, dass man jedes einzelne Gebäude auf einen hohen Effizienzhaus-Standard bringen könnte. Das ist technisch und finanziell nicht machbar. Sinnvoller ist es, die vorhandenen Qualitäten im Bestand in den Blick zu nehmen. Es gibt tausend Möglichkeiten, statt Abriss und Neubau die differenzierte Lösung für klimagerechte Anpassung im Quartierszusammenhang anzugehen. Solchen Fragen wollen wir auf unserer kommenden Jahrestagung 2024 nachgehen und haben dafür das Thema „Klimasensibel Weiterbauen“ aufgerufen.

Wie kriegen Bauherren denn die tausend Möglichkeiten auf den Schirm?  

Zuhören, zuhören, zuhören und Kompetenzen vernetzen. Der Beruf Umbauberater wird sich etablieren mit eher moderierenden als planerischen Aufgaben. Das ist auch ein Ergebnis der diesjährigen Tagung der Fachgruppe: Ein Planungsbüro kann das nicht mehr alleine, es gilt, Netzwerke zu bilden.  

Wachsen die entsprechenden Kompetenzen denn nach? 

Die heutige Ausbildung ist immer noch vorwiegend am Neubau ausgerichtet. Die Studierenden wissen das und fordern ein Umdenken ein. Wir müssen lernen, auf allen Ebenen das Silodenken zu überwinden. Die Universitäten in Essen und Dortmund sind wichtige Standorte dafür genauso wie die Hochschulen in Gelsenkirchen und Recklinghausen und natürlich die EBZ in Bochum, die u.a. gerade das für den Bestandserhalt so wichtige Management von Immobilien lehrt. Um Synergien wirksam werden zu lassen, müssen alle über den Tellerrand hinaus denken. Ein erster Schritt der Zusammenarbeit besteht darin, dass unsere Tagung am 21. November 2024 an der EBZ stattfinden wird.

Welche Rolle kann das Ruhrgebiet bei der Umsetzung im Bestand spielen? 

Das Ruhrgebiet ist mit seinem Städtenetzwerk dafür prädestiniert. Der Anteil an Bestand ist dicht gesät und es gibt eine hohe Fachkompetenz in den Städten, den Verwaltungen und der Industrie. Da sind alle Chancen der Welt gegeben. Das Ruhrgebiet kann immer noch von den Früchten und Lehren der IBA Emscherpark zehren. Solche großen Ideen sind das eine, ebenso wirksam sind die kleinen Schritte wie das laufende Projekt „UmBauLabor“ in Gelsenkirchen, bei dem an einem angeblich abbruchreifen Haus ausgetestet wird, was alles zu einem Umbau dazu gehört. Wir müssen die Stadt wieder von den Menschen her denken, die dort leben. 

Infos zur Jahrestagung 2024 „Klimasensibel Weiterbauen“ und Kontakt unter: www.staedtebau-denkmalpflege.de